Nobel: Erfinder des Dynamits und des Nobelpreises

Nobel: Erfinder des Dynamits und des Nobelpreises
Nobel: Erfinder des Dynamits und des Nobelpreises
 
Bekannt ist Alfred Nobel heute eigentlich nur noch durch die Preise, die er in seinem Testament stiftete und die alljährlich an seinem Todestag an diejenigen vergeben werden, die »im verflossenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben«. Das Preisgeld wird aus den Zinsen gezahlt, die Nobels Vermögen einbringt; es beträgt derzeit umgerechnet etwa 1,6 Millionen DM (rund 816 000 Euro). Als Erfinder des Dynamits, das in hohem Maß zur industriellen und technischen Erschließung Europas und Amerikas beigetragen hat, ist er dagegen nur wenigen bekannt.
 
 
Alfred Nobel (der Nachname wird auf der zweiten Silbe betont) hat es wie kaum ein anderer Industrieller vollbracht, sich im Gedächtnis der Nachwelt in Erinnerung zu halten. Geboren in Schweden und aufgewachsen in Russland, schuf er aus zwei Erfindungen, deren wichtigste das Dynamit ist, ein Firmenimperium, dessen Niederlassungen sich in der ganzen westlichen Welt befanden. An den Orten seiner größten Werke befanden sich Wohnsitze, in denen Nobel zeit seines Lebens an weiteren Erfindungen arbeitete. In einer Zeit ohne schnelle Massenkommunikation verzichtete Nobel auf eine feste Firmenzentrale und reiste immer wieder um die Welt, um direkt vor Ort zu verhandeln, aber auch Patentstreitigkeiten auszutragen. Wenn man Nobel allerdings gefragt hätte, wo sich seine Heimat befand, hätte er wahrscheinlich Paris genannt, wo er über zwanzig Jahre lang lebte. Hier experimentierte er nicht nur, sondern fand auch Zugang zu literarischen Zirkeln, durch die er seiner zweiten Leidenschaft, der Literatur, frönen konnte. Die aus seinen Erfindungen resultierenden Konflikte mit der französischen Regierung zwangen ihn schließlich dazu, Paris wieder zu verlassen. Seine letzten Jahre verbrachte er im italienischen San Remo.
 
Nobels Erfindungen waren nicht nur für friedliche Anwendungen gedacht. Von Anfang an entwickelte er auch militärische Anwendungen, deren Einsatz er in den Kriegen und Konflikten seiner Zeit miterleben konnte. Der Chemiker Nobel konnte sein Gewissen noch damit beruhigen, dass er für den Einsatz seiner Erfindungen nicht verantwortlich war. Dem Sprengstoff- und Waffenfabrikanten war dies eigentlich nicht mehr möglich. Vielleicht sind die daraus erwachsenen inneren Konflikte — neben der Belastung durch die Firmenleitung — wenigstens teilweise für seine ständigen medizinischen Probleme verantwortlich. Nobel beruhigte sich und sein Gewissen daneben auch durch Unterstützung der damaligen Friedensbewegungen. Sie gipfelten in der Stiftung des Friedensnobelpreises, einem von fünf Preisen, die der kinderlose Nobel in seinem Testament stiftete.
 
 
Alfred Nobel wurde am 21. Oktober 1833 in Stockholm als dritter von vier Söhnen des Ingenieurs Immanuel Nobel und dessen Ehefrau Andrietta (geborene Ahlsell) geboren. Väterlicherseits zählt der schwedische Naturphilosoph Olof Rudbeck (1630—1702) zu seinen Vorfahren. Bereits Nobels Vater beschäftigte sich mit Sprengstoffen und besaß eine Firma, die jedoch noch in Nobels Geburtsjahr Bankrott ging. Immanuel Nobel wandte sich daraufhin nach St. Petersburg, damals Hauptstadt des russischen Reiches und eines der kulturellen Zentren Europas. Dort schuf er sich als Waffenlieferant des russischen Militärs ein neues Vermögen. Während der Aufbauphase unterhielt Andrietta Nobel ihre Familie mit einem kleinen Laden.
 
1842 waren Immanuels Geschäfte so erfolgreich, dass er seine Familie nach Petersburg nachkommen lassen konnte. Alfred, der bis dahin nur ein Jahr lang eine öffentliche Schule besucht hatte, wurde nun von Privatlehrern unterrichtet. Dies vermittelte ihm im Lauf der Jahre zwar ein profundes Wissen, schnitt ihn aber auch weitgehend vom Kontakt mit Gleichaltrigen ab und mag eine der Ursachen sein, warum Nobel zeit seines Lebens ein Einzelgänger blieb, der nur wenig private gesellschaftliche Kontakte pflegte. Durch seine Schulbildung beherrschte Nobel mehrere Fremdsprachen fließend (neben Russisch auch Deutsch, Englisch und Französisch). Er entwickelte ein reges Interesse an den Naturwissenschaften, aber auch an Literatur und Philosophie — wobei seine literarischen Interessen nicht unbedingt auf die Zustimmung seines Vaters stießen.
 
Als Siebzehnjähriger sollte Nobel seinen Horizont erweitern, bevor er in die väterliche Firma eintrat. Dies passte offenbar zu Nobels eigenen Reiseplänen, und in den folgenden Jahren bereiste Alfred Nobel Schweden, Deutschland, Großbritannien, die USA und Frankreich. In Paris hielt er sich dabei am längsten auf. Er wurde Assistent des französischen Chemikers Théophile-Jules Pelouze. Zu dessen Schülern hatte wenige Jahre zuvor auch der Italiener Ascanio Sobrero gezählt, der 1846 als Erster das Nitroglyzerin hergestellt hatte. Nobel muss während des Jahres, in dem er sich bei Pelouze aufhielt, von dessen Erfindung gehört haben, obwohl sich der genaue Zeitpunkt nicht mehr feststellen lässt.
 
1852 wurde Nobel von seinem Vater nach St. Petersburg zurückgerufen. Dessen Geschäfte liefen jetzt so gut, dass er die Hilfe seiner Söhne brauchte. Nobel brachte die Idee des Nitroglyzerins mit und begann mit Experimenten, um diese hochexplosive Substanz industriell herzustellen. Durch den 1853 begonnenen Krimkrieg florierte das Unternehmen Immanuel Nobels noch mehr. Er produzierte beispielsweise Seeminen, welche die britische Flotte daran hinderten, in den finnischen Meerbusen einzulaufen und St. Petersburg zu beschießen. Doch das Ende des Krimkriegs bedeutete den Verlust von Nobels Absatzmärkten in Russland. Seine zu groß gewordenen Fabriken zehrten sein Vermögen allmählich auf, und erneut war Immanuel Nobel Bankrott. Mit zweien seiner Söhne — Alfred und Emil — kehrte er 1863 nach Schweden zurück. Alfreds ältere Brüder Ludwig und Robert blieben jedoch in Russland, liquidierten die Firma und bauten sich mit den kärglichen Resten des Firmenvermögens durch Ölförderung im Kaukasus erfolgreich eine neue Existenz auf.
 
 
In Stockholm setzte Alfred Nobel zusammen mit seinem Vater und seinem Bruder Emil die Experimente mit Nitroglyzerin fort. Diese Substanz mit dem chemischen Namen Glycerintrinitrat (die Bezeichnung »Nitroglyzerin« hat sich zwar durchgesetzt, ist aber eigentlich falsch) war der wirksamste Sprengstoff seiner Zeit. Eines der Hauptprobleme, die einer industriellen Produktion entgegenstanden, war dessen Empfindlichkeit gegenüber Feuer und Erschütterungen: Bereits leichte Stöße ließen die ölige Flüssigkeit explodieren. Ein modernes Rezept zur Herstellung von Nitroglyzerin im Labormaßstab empfiehlt, die Ausgangssubstanzen in einer Tiefkühltruhe mit allergrößter Vorsicht zu vermengen, um so durch die große Kälte die Reaktionsgeschwindigkeit und damit die Explosionsgefahr herabzusetzen. Den Nobels standen solche Hilfsmittel nicht zur Verfügung. 1864 kam es in ihrem Labor zu einer verheerenden Explosion, bei der neben vier Arbeitern auch Alfreds Bruder Emil getötet wurde.
 
Aufgrund dieser Explosion verbot die Stadt Stockholm weitere Experimente innerhalb der Stadt. Alfred Nobel verlegte sein Labor auf eine alte Barke, die im Mälarsee westlich von Stockholm verankert war. Hier errichtete er seine erste Sprengstofffabrik. Sie erwirtschaftete die Gelder, mit denen Alfred Nobel seine Experimente weiterführen konnte.
 
Bereits 1865 gründete er in Krümmel bei Hamburg — in der Gegend des heutigen Kernkraftwerks — eine weitere Sprengstofffabrik. Hier lebte Nobel in einem Haus unweit des Werkgeländes, in dem er auch ein Labor unterhielt. Trotz verschiedener Sicherheitsmaßnahmen — so durften etwa die einzelnen Gebäude nicht dicht beieinander stehen und waren durch Erdwälle voneinander abgeschirmt — wurde das Werk 1866 durch eine Explosion zerstört. Nobel ließ es mit noch schärferen Sicherheitsvorkehrungen wieder aufbauen und arbeitete weiter an der Verbesserung des Nitroglyzerins. Im Laufe langer Experimente vermischte er die Flüssigkeit mit unterschiedlichsten Substanzen, beispielsweise Gips, Holzspänen oder Erde. Schließlich führte gerade der Standort Krümmel zum Erfolg: Die Erde dort enthält Kieselgur, ein sehr feinkörniges, kreideartiges Sedimentgestein, das sich dort vor etwa fünf Millionen Jahren aus den Kieselsäuregerüsten von mikroskopisch kleinen Kieselalgen gebildet hat. Kieselgur hat ein sehr gutes Saugvermögen.
 
Indem er das Nitroglyzerin vom Kieselgur aufsaugen ließ, erfand Nobel eine neue Sprengstoffklasse, die er sich 1867 als »Dynamit« patentieren ließ. Dynamit hat zwar nur drei Viertel der Sprengkraft von reinem Nitroglyzerin, lässt sich aber gefahrlos herstellen und transportieren. Auch offenes Feuer oder heftige Erschütterungen bringen es nicht zur Explosion. Ein kommerzieller Einsatz des Sprengstoffs wurde aber erst durch eine zweite Erfindung möglich, die Nobel kurz vor dem Dynamit gelungen war: die Sprengkapsel. Sie besteht aus einem mit Schwarzpulver gefüllten Holzröhrchen und wird durch eine Lunte gezündet. Erst durch die winzige Explosion der Sprengkapsel wird das Dynamit gezündet und explodiert.
 
Ein besonderer Vorteil des Dynamits war, dass es in Stangenform hergestellt werden konnte. Etwa zur gleichen Zeit kamen auch neuartige Bohrgeräte mit diamantbesetzten Bohrköpfen in Gebrauch. Beides zusammen revolutionierte den Ingenieurbau: Mit den Bohrköpfen konnte man auch in härtestem Gestein Löcher bohren und sie mit Dynamitstangen verfüllen. Durch die Sprengung des Gesteins ließen sich buchstäblich Berge bewegen. In einer Zeit, in der die europäischen Länder ihre Infrastruktur aufbauten, in der Eisenbahnen, Straßen und Kanäle angelegt wurden und Bergwerke immer größere Mengen an Rohstoffen für den wachsenden Industriebedarf liefern mussten, verkaufte sich das Dynamit fast von selbst.
 
 Industriegigant und Literat
 
Nobels Firmenimperium wuchs schnell; nach seinen Werken in Schweden und in Deutschland gründete er beispielsweise 1871 ein weiteres großes Werk südlich von Glasgow. Bei seinem Führungsstil bedeutete dies, dass er ständig in der Welt herumreisen musste, zur damaligen Zeit noch eine oft mühsame und vor allem langwierige Angelegenheit. Trotzdem suchte er nach einem neuen Domizil. Er ließ sich in Paris nieder, wo er 1873 nahe dem Bois de Boulogne und in der Nachbarschaft des Literaten Victor Hugo ein Haus erwarb. Trotz seiner Reisen fand er immer Zeit zu lesen und war daher sowohl mit der klassischen als auch mit der zeitgenössischen Literatur vertraut. Mindestens bis in die frühen 1860er-Jahre hatte er selbst verschiedene kleinere literarische Werke verfasst. In Zeiten tiefer Depression, etwa nach dem Unfalltod seines Bruders Emil, überlegte er sich sogar, sein bisheriges Leben aufzugeben und sich ganz der Literatur zu widmen.
 
Dazu war es zwar nicht gekommen, sein Interesse an der Literatur hatte Nobel jedoch nicht aufgegeben; er pflegte regelmäßige Kontakte mit den literarischen Salons der französischen Hauptstadt. Er war — in einer Zeit ohne Fax und E-Mail — ein eifriger Briefschreiber, wozu neben der Geschäftskorrespondenz auch immer Briefe an seine wenigen Freunde gehörten.
 
1881 erwarb Nobel in Sevran, nördlich von Paris, ein weiteres Anwesen. Dorthin verlegte er sein Labor, das er bisher in seinem Pariser Haus unterhalten hatte. Ein Grund für die Wahl von Sevran dürfte die Nähe zu anderen Sprengstofffabriken sowie zu einem militärischen Übungsgelände gewesen sein, auf dem Versuchssprengungen durchgeführt werden konnten. Allmählich wuchs dieses Anwesen zu seiner französischen Sprengstofffabrik, die ihm in späteren Jahren noch viel Ärger bereiten sollte.
 
Militärische Anwendungen
 
Dynamit war längst nicht mehr nur ein Werkzeug der zivilen Produktionssteigerung, sondern hatte als Sprengstoff von Artilleriegranaten auch den militärischen Sektor eingenommen. Allerdings hatte es die für das Militär unangenehme Nebenwirkung, dass sehr viel Rauch entstand, der das Schlachtfeld vernebelte. Das Militär war daher auf der Suche nach einem rauchärmeren Sprengstoff. 1880 gelang Nobel die Entwicklung des »Ballistits«, eines Sprengstoffs, der dem Dynamit nicht nachstand, aber deutlich weniger Rauch entwickelte.
 
Nobel erhielt ein Patent auf seinen Sprengstoff und bot ihn Mitte der 1880er-Jahre der französischen Regierung an, die jedoch ablehnte, da ein französischer Chemiker zu dieser Zeit einen ähnlichen Sprengstoff mit den gewünschten militärischen Eigenschaften entwickelt hatte. Allerdings interessierte sich die italienische Regierung für Ballistit, und sie erwarb schließlich auch die Patentrechte zur Herstellung des Stoffs. Damit hatte ein direkter politischer Konkurrent Frankreichs die gleiche Waffe wie Frankreich in die Hände bekommen.
 
Gegen Nobel begann eine äußerst diffamierende Pressekampagne. Sie beruhte darauf, dass der französische Chemiker sein Produkt in einer Pulverfabrik entwickelt hatte, die ebenfalls in Sevran in direkter Nachbarschaft zu Nobels Fabrik lag war. Ganz eindeutig — so die Pressekampagne — musste Nobels Erfindung auf Spionage beruhen. Zudem verkaufte der in Frankreich lebende Ausländer Nobel seine Erfindung an einen Gegner Frankreichs, hatte also »Frankreich verraten«. Aus heutiger Sicht war diese vom französischen Staat unterstützte Pressekampagne in der Sache völlig unbegründet. Aber sie führte dazu, dass die Herstellung von Ballistit in Frankreich verboten wurde. Schließlich wurden Nobels Labor und Haus in Sevran von der Polizei durchsucht und die im Labor befindliche geringe Menge an Ballistit beschlagnahmt.
 
Die Pressekampagne und ihre Folgen müssen für Nobel, der sich in Frankreich immer am wohlsten gefühlt hatte, äußerst enttäuschend gewesen sein. Er entschloss sich schließlich, Frankreich zu verlassen. Nobel verkaufte seinen Besitz in Sevran, behielt aber sein Pariser Domizil und erwarb im italienischen San Remo eine neue Villa, in die er 1891 übersiedelte. Den größten Teil seiner Privatbibliothek nahm er mit nach Italien. Man kann daraus schließen, dass er San Remo als ständiges Domizil betrachtete, dass er aber gleichzeitig ein »Standbein« in Paris behalten wolle. Auch in San Remo richtete er sich ein Labor ein und arbeitete weiter an seinen Erfindungen, die allerdings schon längst nicht mehr ausschließlich Sprengstoffe betrafen. Er entwickelte beispielsweise eine Düse, mit der Kunstseide aus Nitrozellulose hergestellt werden konnte, und arbeitete an künstlichem Gummi.
 
Obwohl das italienische Klima seiner Gesundheit sehr zuträglich war, musste der Geschäftsmann nach wie vor viel reisen. 1895 erwarb er eine Sprengstofffabrik im schwedischen Bofors, die er wie immer mit einem nahe gelegenen Wohnhaus und einem Labor einrichtete, und wo er sich längere Zeit aufhielt. Zentraler Ort seiner Geschäftsaktivitäten blieb aber San Remo. Nach Beschwerden seiner dortigen Nachbarn, die sich durch seine Versuchssprengungen in ihrer Ruhe gestört sahen, erwarb er kurz vor seinem Tod noch das neben seiner Villa gelegene Grundstück. Am 10. Dezember 1896 starb Alfred Nobel an den Folgen eines Herzschlags.
 
 Die Nobelpreise und ihre Hintergründe
 
Sein 1895 aufgesetztes Testament enthielt neben Legaten für seine Verwandten eine Verfügung, nach der das Einkommen aus seinem Vermögen jährlich in fünf gleiche Teile geteilt und »in Form von Preisen« an jene vergeben werden sollte, »die im verflossenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben«. Diese Verfügung wurde besonders von seinen Verwandten angefochten. Auch die Vorschriften zur Vergabe der Preise waren unklar; so waren etwa die Institutionen, welche die Preisträger auswählen sollten, nicht gefragt worden, ob sie diese Aufgabe übernehmen wollten. Erst nach drei Jahren wurden die Rechtsstreitigkeiten im Sinne Nobels beigelegt. 1900 wurde die Nobelstiftung gegründet, und 1901 wurden die ersten Nobelpreise vergeben.
 
Um diese Preise und besonders um die Auswahl der Fächer, in denen sie vergeben werden, ranken sich zahlreiche Gerüchte. So wird etwa immer wieder erzählt, der unverheiratete und kinderlose Nobel habe eine Geliebte gehabt, die ihn mit anderen Männern betrog. Soweit mag die Geschichte noch stimmen. Dass er aber aufgrund der Berufe seiner Nebenbuhler bestimmte Fachgebiete von einer Preisverleihung ausschloss, entstammt dem Reich der Fabel. Die von Nobel vorgesehenen Fächer Physik, Chemie, Medizin oder Physiologie, Literatur und Frieden entsprechen vielmehr den vielfältigen Interessen, die Nobel zeit seines Lebens hegte.
 
 
Alfred Nobel war keineswegs nur ein gewissenloser Militärproduzent, der mit dem Tod von Zehntausenden Soldaten gute Gewinne scheffelte. Er erkannte sehr wohl den ethischen Widerspruch zwischen seinen Tätigkeiten als Wissenschaftler und als Industrieller, nicht zuletzt auch durch seine lebenslange Freundschaft mit Bertha von Suttner, eine der aktivsten frühen Verfechterinnen einer Weltfriedensordnung.
 
Die frühere Gräfin Bertha Kinsky von Wchinitz und Tettau hatte 1876 für kurze Zeit als Sekretärin und Gesellschafterin für Nobel in Paris gearbeitet. Bald darauf heiratete sie den österreichischen Grafen von Suttner und wurde unter dem Namen Bertha von Suttner weltbekannt. Sie wurde später auch eine der ersten Trägerinnen des Friedensnobelpreises.
 
Ihr jahrelanger Briefwechsel zeigt, dass Nobel die frühen Friedensgesellschaften durchaus finanziell unterstützte. Er selbst stellte sich auf den Standpunkt eines Wissenschaftlers und argumentierte, dass er daher für den Einsatz seiner Produkte nicht verantwortlich war. Als Industrieller produzierte Nobel jedoch auch direkt für das Militär. Nobel scheint diesen Aspekt und seine Folgen teilweise verdrängt zu haben, teilweise hoffte er wohl auf etwas, das wir heute das »Gleichgewicht des Schreckens« nennen. Er hoffte, dass die Vernichtungskraft der von ihm geschaffenen Waffen so abschreckend wäre, dass die Menschen und Regierungen von selbst die Unsinnigkeit von Kriegen erkennen würden. Er musste nicht mehr miterleben, wie diese Hoffnungen auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs begraben wurden.
 
Der Friedensnobelpreis wird an Personen oder Institutionen vergeben, die »am meisten oder am besten für die Verbrüderung der Völker und für die Abschaffung oder Verminderung der stehenden Heere sowie für die Bildung und Verbreitung von Friedenskongressen gewirkt« haben. Die Stiftung dieses Preises ist ein direkter Ausdruck seiner Hoffnungen.
 
 
Nobels Gesundheitszustand wird immer wieder als schlecht beschrieben. Er besuchte neben seinen Geschäftsreisen zwar häufig Kurorte, konnte der dortigen erzwungenen Untätigkeit allerdings nie viel abgewinnen. Ein Teil seiner gesundheitlichen Probleme ist sicher auf seine Arbeit zurückzuführen — er litt schlicht gesagt unter dem Stress, den seine internationalen Geschäfte hervorriefen. In seinen Labors war er ständig gesundheitsschädlichen Dämpfen ausgesetzt, die ihm immer wieder Kopfschmerzen verursachten. In späteren Jahren litt er an Rheuma, das sich wegen des oft nasskalten mittel- und nordeuropäischen Wetters häufig unangenehm in Erinnerung gebracht haben muss. Erst das mildere italienische Klima brachte ihm Linderung.
 
Nobel setzte große Hoffungen in den Fortschritt der Medizin. Schon zu seiner Pariser Zeit hatte er einen jungen Physiologen eingestellt, um seine eigene Theorie über die Bluttransfusion zu überprüfen. Ihm war auch die Ironie klar, dass ausgerechnet Nitroglyzerin, der Stoff, auf dem sich sein Vermögen gründete, als Heilmittel gegen seine Herzbeschwerden — er litt an Angina pectoris — eingesetzt wurde. Warum Nitroglyzerin seine Beschwerden lindern konnte, wurde aber erst hundert Jahre später erkennbar: Durch die Substanz entwickelt sich im Körper Stickstoffmonoxid (NO), ein Gas, das in die Muskeln entweicht, welche die Blutgefäße umgeben. Dort bewirken sie ein Erschlaffen der Muskulatur; die Blutgefäße weiten sich aus, und es kann mehr Blut zum Herzen strömen. Die Arbeiten, die diesen Zusammenhang erklären, wurden 1998 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet.
 
 
Nobel war zeitlebens literarisch interessiert und schrieb besonders in seiner Jugend und in seinen späten Jahren Gedichte, aber auch Tragödien und Komödien. Literarisch waren sie eher einfach, zeigen aber, dass er ein gewisses Talent für die Literatur hatte, welches er mit entsprechender Förderung und Anstrengung hätte entwickeln können. Nobel las gern und viel und blieb zeit seines Lebens mit den Entwicklungen der Literatur vertraut. Der Literaturnobelpreis, der an denjenigen vergeben wird, der »in der Literatur das Ausgezeichnetste in idealistischer Richtung hervorgebracht hat«, ist ohne Zweifel eine direkte Folge dieses Interesses, und die Formulierung »in idealistischer Richtung« zeigt seine literarische Vorliebe.
 
Chemie und Physik
 
Obwohl er nie eine formale wissenschaftliche Ausbildung erhalten hatte, war Nobel durch die Laboratorien seines Vaters, seine Privatlehrer und schließlich seine eigene Arbeit nach den Maßstäben seiner Zeit ein profunder Chemiker. Die Chemie selbst verließ erst in den 1860er-Jahren ihre Kinderstube und begann sich besonders durch die Entwicklung des heutigen Atombegriffs zu einer eigenständigen Wissenschaft zu entwickeln. Da sich Nobel viel mit den Auswirkungen von Explosionen zu befassen hatte, musste er sich naturgemäß auch mit der Physik beschäftigen. Auch hier sind die Nobelpreise also eine direkte Folge der vielfältigen Interessen dieses Mannes.
 
 
Der Nobelpreis für Wirtschaft ist nicht in Nobels Testament verankert. Diese Auszeichnung wurde erst 1968 von der Schwedischen Reichsbank anlässlich ihres 300-jährigen Jubiläums gestiftet. Die Regeln für die Nominierung, die Beurteilung, die Verleihung und feierliche Übergabe folgen allerdings denselben Grundsätzen, wie sie für die anderen Preise üblich sind.
 
Right Livelihood Award — der alternative Nobelpreis
 
Ebenfalls nicht auf Alfred Nobel zurück geht der » alternative Nobelpreis«, der seit 1980 von der Stiftung für verantwortungsbewusste Lebensführung in London vergeben wird. Ins Leben gerufen wurde dieser Preis von dem deutsch-schwedischen Philatelisten, Publizisten und ehemaligen Mitglied des Europäischen Parlaments Jakob von Uexküll (* 1944), der mit den Vergabekriterien des Nobelpreiskomitees nicht zufrieden war. Gefördert werden sollen der Einsatz für Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, Frieden und Abrüstung, Minderheitenschutz und die Erhaltung der natürlichen Umwelt. Alternative Ansätze in Wissenschaft und Technik, die zur Erreichung dieser Ziele beitragen, werden gefördert. Der Preis ist mit 400 000 DM dotiert (das Preisgeld stammt aus dem Verkauf von Uexkülls umfangreicher Briefmarkensammlung) und wird meist unter drei bis vier Preisträgern aufgeteilt, außerdem gibt es einen nicht mit Geld verbundenen Ehrenpreis; die Preise werden am Tag vor der Verleihung der »konventionellen« Nobelpreise im schwedischen Parlament verliehen. Der Jury gehören außer Uexküll unter anderem der Norweger Thor Heyerdal und die ehemalige niedersächsische Umweltministerin und Greenpeace-Mitbegründerin Monika Griefahn an. 1999 wurden der spanische Anwalt Juan Garces, der den chilenischen Exdiktator Pinochet beinahe vor Gericht gebracht hätte, eine kubanische und eine kolumbianische Umweltgruppe ausgezeichnet sowie der deutsche Bundestagsabgeordnete und Solarenergieexperte Hermann Scheer, dem der Ehrenpreis zugesprochen wurde.
 
 
Ernst Meier: Alfred Nobel — Nobelstiftung — Nobelpreise. Berlin 1954.
 Horst Kant: Alfred Nobel. Leipzig 21986.
 Fritz Vögtle: Alfred Nobel. Reinbek 1988.
 Nils K. Ståhle:Alfred Nobel und die Nobelpreise. Aus dem Englischen. Stockholm 21989.
 Rune Pär Olofsson:Der Dynamitkönig Alfred Nobel. Aus dem Schwedischen. Leipzig 1993.
 Kenne Fant: Alfred Nobel. Idealist zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Aus dem Schwedischen. Taschenbuchausgabe Frankfurt am Main 1997.

Universal-Lexikon. 2012.

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